Heiligung des Materiellen als Weg zum Göttlichen
Im Wochenabschnitt „Truma“ wird einer der tiefgründigsten Aspekte des spirituellen Weges des Menschen offenbart – die Fähigkeit, die materielle Welt in ein Gefäß für das göttliche Licht zu verwandeln. Der Allmächtige wendet sich an das Volk Israel mit dem Gebot:
“Und sie sollen mir ein Opfer (Truma) von jedem nehmen, der es von Herzen geben will” (Exodus 25,2).
Weiter heißt es:
“Lass sie mir ein Heiligtum machen, damit ich unter ihnen wohnen kann” (Exodus 25,8).
Dies ist eine der rätselhaftesten Formulierungen in der Tora. Warum heißt es „unter ihnen“ statt „in ihm“ – also nicht im eigentlichen Tempel? Die Antwort, die die Tora gibt, verändert unser Verständnis des Dienstes: Das Ziel des Mishkan (des wandernden Heiligtums) besteht nicht darin, die Gegenwart des Allmächtigen auf einen bestimmten Ort zu beschränken, sondern darin, dass jeder Mensch sein Herz und sein Leben in einen Ort verwandelt, in dem das Göttliche wohnt.
Das Materielle als Werkzeug zur spirituellen Erhebung
Auf den ersten Blick erscheint die Idee, einen Tempel aus Gold, Silber, Edelsteinen und Stoffen zu errichten, paradox. Sollten wir das Göttliche nicht gerade in der Abkehr von der materiellen Welt suchen? Ist Spiritualität nicht das Gegenteil von Reichtum und physischen Attributen?
Rabbi Avraham Yitzhak Cook erklärt dieses Paradoxon wie folgt:
“Heiligkeit liegt nicht in der Verneinung des Materiellen, sondern in dessen Erhebung. Die Welt wurde nicht erschaffen, um vor ihr zu fliehen, sondern um sie zu heiligen.”
Die Tora verlangt nicht, dass der Mensch auf Materialität verzichtet, sondern lehrt, wie man sie empfänglich für das göttliche Licht macht.
Die Bundeslade: Harmonie zwischen dem Inneren und dem Äußeren
Im Zentrum des Mishkan stand die Bundeslade – der heiligste Gegenstand, in dem die Gesetzestafeln aufbewahrt wurden. Sie war aus Akazienholz gefertigt und von innen wie von außen mit Gold überzogen (Exodus 25,11).
Dieses Bild ist reich an tiefgreifender Symbolik. Das Holz steht für Leben, Bewegung und Wachstum, während das Gold Ewigkeit, Reinheit und höchste spirituelle Ausstrahlung symbolisiert. Die Bundeslade lehrt uns, dass:
- Der Mensch nach Spiritualität streben muss, ohne sich vom Leben zu lösen. Das Holz symbolisiert das Leben, und das Gold die Heiligkeit – nur ihre Kombination schafft ein heiliges Gefäß für den Bund.
- Das Innere und das Äußere in Harmonie stehen müssen. Die Tora fordert, dass das Gold die Lade nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich überzieht. Dies symbolisiert, dass der Mensch nicht nur äußerlich, sondern auch in Gedanken und Absichten ehrlich und rein sein muss. Wie im Talmud (Jom Kippur 72b) heißt es:
„Ein Mensch, dessen Herz nicht wahrhaftig ist, kann kein echtes Gefäß für die Tora sein.“
Mishkan – Ein Modell des Universums und der menschlichen Seele
Die Weisen betrachten den Aufbau des Mishkan nicht nur als Tempel, sondern auch als ein Miniaturmodell der Welt. In jedem seiner Elemente schwingt ein Hinweis auf die Struktur des Universums, der menschlichen Seele und der Gebote der Tora mit:
- Der Menora (Leuchter): Symbolisiert das Licht der Weisheit und der göttlichen Offenbarung.
- Dem Altar: Erinnert an Selbstaufopferung und den Streben nach Höherem.
- Dem Tisch mit den Broten der Vorhaltung: Zeigt, wie materieller Überfluss geheiligt werden kann.
Ebenso kann in jedem Aspekt des menschlichen Lebens das Göttliche entdeckt werden, wenn man die Welt durch die Augen der Tora betrachtet.
Das Wahre Opfer: Die Offenbarung des Herzens
Bemerkenswert ist, dass das Gebot zum Bau des Mishkan nicht als Pflicht, sondern als freiwilliges Opfer gegeben wird:
“Von jedem, der es von Herzen geben will” (Exodus 25,2).
Dies zeigt, dass wahrer Dienst am Allmächtigen ohne persönlichen Antrieb und ohne den Wunsch der Seele nicht möglich ist. Man könnte Berge von Gold darbringen, aber ohne Herz wird es nicht zu einem Gefäß der Heiligkeit.
Rabbi Cook betonte:
“Wahre Heiligkeit offenbart sich nicht in der äußeren Form, sondern im Feuer der Seele, das der Form Bedeutung verleiht.”
Fazit: Die Verwandlung der Welt in einen Tempel
Der Abschnitt „Truma“ enthüllt das Geheimnis der göttlichen Präsenz: Der Allmächtige wohnt nicht nur im Himmel – er wartet darauf, dass der Mensch seine Welt erleuchtet und sein Alltagsleben in einen Mishkan verwandelt.
Oft denken wir, dass Heiligkeit etwas Fernes ist, das nur den großen Weisen vorbehalten bleibt. Doch die Tora lehrt uns, dass jeder von uns in der Lage ist, einen Tempel in seiner eigenen Seele zu errichten.
Wie können wir dies erreichen?
- Indem wir unsere Arbeit heiligen, sodass sie zu einem Mittel wird, um Gutes zu dienen.
- Indem wir unser Herz in das Gebet einbringen, damit es nicht mechanisch abläuft, sondern von einem aufrichtigen Wunsch nach Verbindung mit dem Schöpfer erfüllt ist.
- Indem wir in unserem Zuhause eine Atmosphäre des Friedens und der Heiligkeit schaffen, sodass es ein Ort der göttlichen Gegenwart wird.
Rabbi Cook schrieb:
“Wer versteht, dass das Licht des Göttlichen in jedem Aspekt des Lebens offenbar werden kann, wohnt bereits im Tempel.”
Der Abschnitt „Truma“ lehrt uns, nicht vor der Welt zu fliehen, sondern sie zu transformieren – in ihr die Heiligkeit zu erkennen und unser Leben zu einem Gefäß für das göttliche Licht zu machen.
Möge diese Lektion uns dazu inspirieren, unseren inneren Mishkan zu errichten, damit der Allmächtige wirklich sagen kann:
“Ich wohne unter ihnen.”
