Vayakhel – Pekudei. Die Stiftshütte – als Haus der göttlichen Gegenwart und Haus des menschlichen Herzens

Dima Gladkow

übersetzt von Viktor Frank

Die Wochenabschnitte Vayakhel und Pekudei, die das Buch Exodus abschließen, sind nicht nur eine Zusammenfassung der großen Geschichte des Auszugs aus Ägypten und der Offenbarung am Sinai,  sondern offenbaren uns die tiefe Bedeutung menschlichen Dienstes und inneren Aufbaus.
            In diesen Abschnitten geht es nicht um Konstruktion im engeren Sinne, sondern darum, wie man in dieser Welt einen Raum schafft, in dem sich der Allmächtige offenbart.

In den ersten Kapiteln über die Stiftshütte (Truma und Tetzave) geht es um das Ideal — um den Plan Gottes,  um die Einrichtung des Heiligtums, wie es in seiner Reinheit sein sollte.

            Aber in Vayakhel und Pekudei tritt ein anderer Aspekt hervor – wie die Menschen diesen himmlischen Plan in der irdischen Realität verkörpern, mit all ihren Einschränkungen, Schwierigkeiten und sogar Tragödien.

            Und hier zeigt sich das erstaunliche Geheimnis: Die göttliche Offenbarung bedarf dessen, dass der Mensch ihr Mitspieler ist.  Die Stiftshütte ist die gemeinsame Arbeit von Mensch und Gott. Wenn in den ersten Abschnitten vom reinen Licht einer Idee die Rede ist, dann geht es in diesen darum, wie diese Idee auf der Erde verkörpert werden kann.

Die Besonderheit dieser Abschnitte besteht darin, dass sie zwei Linien, zwei Ansätze verbinden: Moshe betrachtet die Welt der Ideale und hohen Konzepte, Aaron betrachtet die Welt der echten Menschen mit ihren Schwächen, Fehlern und Bedürfnissen.

            Zu Beginn der Geschichte, als diese Linien getrennt waren, kam es zu einer Krise – der Sünde des Goldenen Kalbes. Das Volk, das keine Verbindung zu einem lebenden Diener hatte, schuf ein Götzenbild. Und erst nach diesem Bruch beginnt die Phase des „Tikun“ – der Korrektur. Und nun ist die Stiftshütte nicht mehr als abstrakte Idee erbaut, sondern als Ergebnis gemeinsamer Arbeit, in der sich Mose, Aaron und das gesamte Volk vereinten.

Was ist die Stiftshütte?

Sie ist ein Symbol der Gegenwart Gottes in der Welt, aber nicht in einer idealen
Welt, sondern in einer Welt, in der es menschlichen Schmerz, Zweifel und Sünde gibt und in der trotz alledem ein Platz für Gott geschaffen werden kann.

            Deshalb ist es so wichtig, dass Mose vor Baubeginn an den Schabat erinnert. Denn sogar der Bau des Tempels – eine große und heilige Angelegenheit – muss am siebten Tag gestoppt werden.  Dies ist grundlegend: Bei jeder, selbst der erhabensten Arbeit muss sich

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der Mensch daran erinnern, dass er nicht der Herr der Welt ist. Einen Tempel zu bauen, ohne sich daran zu erinnern, bedeutet, kein Haus Gottes zu bauen, sondern ein Denkmal für sich selbst.

Der Samstag ist nicht nur ein Ruhetag. Es ist der Tag, an dem der Mensch lernt, innezuhalten. Die Welt ist nicht nur durch Bewegung, sondern auch durch Ruhe geschaffen. Der Samstag sagt: Deine Kraft liegt nicht darin, dass du alles kannst, sondern darin, dass du innehalten und Gott Raum geben kannst.

Und darin liegt eine tiefe Moral für jeden von uns. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig vorwärts gedrängt werden: erreichen, bauen, verändern, kämpfen.
Wir leben in einer Welt, in der wir ständig vorangetrieben werden: zu erreichen, aufzubauen, zu verändern, zu kämpfen. Doch ohne innezuhalten, ohne den Sinn unseres Tuns zu erkennen, wird jede Arbeit zum Götzen. Selbst die besten Taten können zum Goldenen Kalb werden, wenn darin kein Platz für den Schöpfer ist.

Besonders wichtig ist das Feuerverbot am Samstag. Feuer ist ein Symbol der menschlichen Stärke, seiner Macht über die Natur, seiner Fähigkeit, die Welt zu verändern. Aber eines Tages in der Woche muss sich jeder sagen: Ich bin kein Meister, ich bin ein Gast in dieser Welt, ich bin eine Schöpfung. Und an diesem Tag lerne ich, kein Meister zu sein, sondern ein Zuhörer, ein Schüler, jemand, der akzeptiert und nicht nur erschafft.

So wird die Verbindung zwischen dem Sabbat und der Stiftshütte deutlich. Um ein wahres Haus Gottes zu bauen, muss man ein Herz haben, das innehalten kann, ein Herz, in dem nicht nur Platz für die eigenen Wünsche ist, sondern auch für die Stille, für die Stimme Gottes.

            Und das betrifft nicht nur den Tempel aus Gold und Holz, sondern jeden von uns. Jeder Mensch ist ein kleines Stifthütte.(Der Mischkan (hebräisch miškān, deutsch Wohnung, Wohnstatt‘), auch StiftshütteOffenbarungszelt oder Zelt der Begegnung ( ’ohæl mô‘ed) genannt)

Unser Herz ist ein Ort, an dem Gott leben kann. Doch wenn es in diesem Herzen keine Ruhe gibt, keinen Schabat, wenn es ständig nur mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist, findet Gott dort keinen Zutritt.

Und noch eine wichtige Lektion: Der Bau der Stiftshütte ist eine gemeinsame Sache. “Und Mose versammelte die ganze Gemeinde der Kinder Israels.” Jeder hat seinen Teil, jeder bringt seinen Beitrag ein. Der Tempel wird nicht von den Händen eines einzelnen Gerechten erbaut, selbst wenn es Mose ist. Er wird gemeinsam erbaut – vom Volk, in dem sowohl Mose als auch Aaron und jede einfache Person ihren Platz haben.

Und vielleicht ist es genau das der Grund, warum das Volk, bevor es mit dem Bau begann, von der Schabat hören musste. Um sich zu erinnern: Wir bauen nicht für uns selbst, nicht für Ruhm, nicht für Macht. Wir bauen, damit Gott bei uns ist.

         Fazit:

Diese Geschichte lehrt uns die größte Weisheit:

Echtes Bauen, wahres Schaffen ist nur dort möglich, wo es einen inneren Halt, eine Pause, die Bereitschaft gibt zuzuhören und zu hören. Die Stiftshütte ist von Menschenhand erbaut, doch damit Gott sie betreten kann, muss das Herz offen und rein sein.

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Der Schabat lehrt uns, dass wir selbst bei der wichtigsten Arbeit innehalten können müssen. Im Leben eines jeden von uns gibt es viele „Bauprojekte“ – Karriere, Familie, Beziehungen, Kreativität. Aber wenn wir uns nicht im Herzen an den Samstag erinnern – dass alles auf dieser Welt Gott gehört –, wird unsere Arbeit zum Goldenen Kalb.

            Das wahre Stiftshütte  ist das Herz, das sagt:

„Ich werde anhalten. Ich werde zuhören. Ich werde Dir Platz machen, Allerhöchster.“

Und dann heißt es in der Thora:

„Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, und ich werde unter ihnen wohnen.“

Nicht „darin“, nicht im Gebäude, sondern in ihnen – in den Herzen der Menschen.

Deshalb bauen wir unseren inneren Tempel.

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