Jitro – Die Zehn Gebote:Der zentrale Kodex des Bundes und seine Auslegung
Dima Gladkow
übersetzt von Viktor Frank
Eines der herausragenden Merkmale der Zehn Gebote ist ihre einzigartige Kantillation – ein besonderer melodischer Gesang, der diesen Text vom Rest der Tora unterscheidet. Dies unterstreicht ihre außergewöhnliche Bedeutung als Grundlage des Bundes zwischen Gott und Israel .

Das Wesen der Zehn Gebote:
Ein Bund, nicht nur moralische Vorschriften
Der Zweck der Zehn Gebote besteht nicht darin, der Menschheit grundlegende moralische Normen zu vermitteln, – denn schon Тора war allgemein bekannt, dass Mord und Diebstahl böse sind.
Ähnliche Gebote finden sich in anderen Zivilisationsordnungen. Ihre Bedeutung liegt jedoch darin, dass der Allmächtige auf der Grundlage dieser Prinzipien einen Bund mit seinem Volk schließt.
In der Tora (Schemot 34,28) werden sie aseret ha-dibrot –
„Zehn Sprüche“, nicht „Gebote“ genannt.
Dies stellt eine direkte Parallele zu den Zehn Sprüchen her, mit denen die Welt erschaffen wurde. Somit spiegelt der Abschluss des Bundes mit dem jüdischen Volk den Schöpfungsakt selbst wider.
Unterschiedliche Auffassungen zum Status der Zehn Gebote
In der klassischen jüdischen Tradition gibt es zwei Ansichten zu ihrem Status:
1. Die erste betont ihre Einzigartigkeit und betrachtet sie als zentralen Akt der göttlichen Offenbarung.
2. Die zweite behauptet, die Zehn Gebote seien gleich heilig wie der Rest der Tora.
Diese unterschiedlichen Auffassungen haben zu zwei unterschiedlichen Bräuchen bei der Lesung der Zehn Gebote in der Synagoge geführt:
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° In manchen Sinagoge ist es üblich, während der Lesung aufzustehen, was ihren besonderen Status symbolisiert.
° In anderen Gemeinden ist es üblich, nicht aufzustehen, um die Gleichwertigkeit aller Worte der Tora zu betonen.
Die zweite Auffassung wendet sich gegen die Vorstellung, dass nur die Zehn Gebote die wichtigsten und der Rest der Tora weniger wichtig seien.
Diese Vorstellung ist besonders in der christlichen Tradition weit verbreitet. Doch selbst im Talmud (Sanhedrin 99b) wird jeder Versuch verurteilt, die Bedeutung auch nur eines einzigen Verses der Thora herabzuwürdigen, und es wird betont, dass jedes Wort darin göttlichen Ursprungs ist.
Die Kombination beider Ansätze
Das Ideal ist ein Gleichgewicht zwischen beiden Konzepten:
= Einerseits ist die gesamte Tora von gleicher Heiligkeit, und jeder Buchstabe ist für ihre Integrität notwendig.
= Andererseits spielen die Zehn Gebote eine besondere Rolle, da sie zur Grundlage der gesamten westlichen Ethiktradition wurden.
Der Text der Zehn Gebote (Schemot 20,1-14)
Die Zehn Gebote werden im Tanach zweimal aufgeführt: im Buch Schemot und im Buch Dvarim, (oder Devarim „Worte“.[1] – 5Mose). (https://de.wikipedia.org/wiki/Deuteronomium#cite_note-4
Als Pentateuch wird in diesem Artikel die als Tora bekannte Schriftengruppe bezeichnet. Tora, „Weisung“, gehört nämlich zu den Zentralbegriffen des Deuteronomiums und bezeichnet im Deuteronomium nicht den Pentateuch – zumindest nicht immer.)
Der Text im Buch Deuteronomium weist jedoch einige Unterschiede auf, die im Folgenden erläutert werden.
Die ersten beiden Gebote: Die Grundlage des Glaubens
(1) Und Gott sprach alle diese Worte und sprach:
(2) Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt hat.
Das erste Gebot bekräftigt, dass Gott und nicht menschliches Handeln oder zufällige Umstände Israel aus der Knechtschaft geführt haben.
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Es enthält auch einen Ruf nach Freiheit – sowohl persönlicher als auch nationaler –, ohne die geistlicher Wachstum unmöglich ist.
(3) Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
(4) Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen…
Dieses Gebot verbietet die Anbetung jeglicher Götzenbilder, verhängt aber kein generelles Verbot die Malereikunst.
Das dritte Gebot: Die Heiligkeit des Namens Gottes
(7) Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.
Das vierte Gebot: Der Schabat als heiliger Tag
(8) Gedenke des Sabbattages, um ihn zu heiligen.
(9-11) Sechs Tage sollst du arbeiten … aber der siebte Tag ist Schabat.
Im Buch Deuteronomium(5Mose) heißt es: „Du sollst den Schabattag halten“ (Dewarim 5,12). Der Unterschied zwischen „gedenken“ und „halten“ drückt zwei Aspekte des Schabats aus:
°„Gedenken“ – diesen Tag freudig feiern, heiligen, Kerzen anzünden, essen.
°„Halten“ – die Thora-Verbote bezüglich der Arbeit an diesem Tag nicht verletzen.
Zweiter Teil: Gebote zwischen Mensch und Nächstem
Eltern ehren
(12) Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst auf Erden.
Dies ist eines der wenigen Gebote, für das eine Belohnung direkt versprochen wird.
Gebote, die es verbieten, dem Nächsten zu schaden
(13) Du sollst nicht töten.
(14) Du sollst nicht ehebrechen.
(15) Du sollst nicht stehlen.
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(16) Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
(17) Du sollst nicht begehren… was deinem Nächsten gehört.
Das Gebot „Du sollst nicht töten“ bezieht sich ausdrücklich auf vorsätzliches Töten (ratzach) und nicht auf Töten im Krieg oder in Selbstverteidigung (harag).
Die Zehn Gebote als Grundlage des Bundes
Diese Gebote sind nicht nur ein Moralkodex, sondern ein Vertrag zwischen Gott und dem Volk Israel. Sie bilden die rechtliche und spirituelle Grundlage, die das Wesen des göttlichen Bundes definiert.
Die Bedeutung der Zehn Gebote geht daher weit über moralische Normen hinaus – sie bilden den Kern jüdischer Identität, und ihr Einfluss auf die Weltzivilisation kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.